Clara - Mein erster Pflegi
Ich hatte einen kleinen Terrier Mischling, der ein Jahr zuvor anfing, gesundheitlich abzubauen. Trotz umfassender Diagnostik konnte niemand sagen, was es war, das seine roten Blutkörperchen auffraß. Mir war klar, dass er nicht mehr lange leben würde. Zwei Therapien mit einem Cortisonpräparat brachten ihm jeweils noch einen Schub seines früheren Lebens zurück. Ich wusste, Heilung gab es nicht. Eine dritte Therapie hätte demnach nur mir geholfen.
In diesem Sommer war ich mit meiner Katze zwei Monate lang fast jeden zweiten Tag in der Tierklinik, weil sich eine Bissverletzung sehr bösartig verändert hatte. Eine OP wurde notwendig und es stand schon zur Diskussion, ob sie ihr Beinchen würde behalten können.
An einem dieser Tage wanderte ich im Wartezimmer an den Wänden entlang herum, wo viele Leute ihre privaten Aushänge angeheftet hatten. Ein Retrieververein suchte Pflegestellen.
Ich hatte eine ziemliche Angst vor dem Tag, an dem mein kleiner Hund sterben würde. Einmal war es schon passiert, dass ich durch den Tod eines geliebten Hundes in ein tiefes Loch gefallen war.
Nach ein paar Tagen der Überlegung und Internetrecherche stand mein Entschluss fest. Ich rief bei dem Verein an und bewarb mich als Pflegestelle. Nach einer positiven Vorkontrolle wartete ich. Ende September endlich kam der erlösende Anruf. Eine ehemalige Abgabehündin sollte es sein, zweieinhalb Jahre alt, sehr lieb und herzkrank.
An einem Autobahnparkplatz fand die Übergabe statt. Die Arme musste sich zwischen allerlei Gerät und Werkzeug quetschen, das ich im Fond transportierte. Sie war eine riesige Labradorhündin, die freundlich in die Gegend guckte, aber keinerlei Interesse an mir zeigte.
Mir fiel schlagartig eins meiner Gespenster ein. Labradore sind lebende Mülleimer. Sie fressen alles, was ihnen zwischen die Zähne kommt. Meine Retrieverhündin war vor vielen Jahren grausam und elend an Gift gestorben. So etwas sollte nicht noch einmal passieren, dafür wollte ich sorgen. Die Hunde, die ich in der Zwischenzeit gehabt hatte, nahmen nichts vom Boden auf. Ich war sehr rigoros gewesen. Alles ist besser als ein toter Hund, und heimtückische Hundehasser wachsen leider immer wieder nach.
Einen Pflegehund zu haben bedeutete für mich noch eine ganz besondere Verantwortung, denn ich hätte dem Verein gegenüber Rechenschaft ablegen müssen, wäre etwas passiert.
Auf der langen Fahrt nach Hause machten wir drei Stopps. Ich wusste nicht, wie sehr die Entwässerungstabletten und die eventuell ungewohnte Fahrt auf ihren Organismus wirken würden. Dabei grinste mich mein zweites Gespenst an. Auf keinen Fall durfte sie unkontrolliert aus dem Auto springen. Als wir zu Hause ankamen, kannte sie „Bleib“. Erst nach Erlaubnis durfte sie das Auto verlassen. Da hatte ich ihre Leine schon sicher in der Hand. Leider war es schon dunkel, keine gute Zeit für eine Zusammenführung. Es ging über alle Maßen gut zwischen meinem kleinen Terrier und Clara. Überschwänglich wäre gelogen, eher ein „Aha, jetzt bist Du also da“. Man nahm sich zur Kenntnis, mehr nicht.
Clara entpuppte sich als eine sehr liebenswerte, freundliche, gelehrige Dame, die sich schnell einfügte und ihre vielen Medikamente ohne Probleme nahm. Klar, Labbi frisst alles. Unterwegs fraß sie zum Glück keinerlei Unrat. Stattdessen fand sie immer sehr schnell einen wuchtigen Knüppel, den sie mir als Wurfgerät anbot. Das war auf Spaziergängen ihre größte Freude. Sie konnte das durchhalten, bis mir die „Lust“ am Werfen verging. Ein freundliches „Lass liegen“ befolgte sie auf der Stelle. Sie sollte nicht in Watte gepackt werden, aber ihre Herzerkrankung ließ exzessive Spiele nicht zu.
Sie fand alle Wildwechsel, von denen es sehr viele gab, zeigte aber nie, dass sie Rehe oder Hasen auch gerne verspeist hätte. Sie schwamm leidenschaftlich gerne. Dazu hatte sie sich eine süße Idee einfallen lassen. Wenn sie ins Wasser wollte, setzte sie sich am Ufer hin und wartete darauf, ab geleint zu werden. Erst dann lief sie rein und holte zurück, was ich geworfen hatte.
Zu meinen Katzen war sie ausgesprochen nett. Die akzeptierten auch nach wenigen Tagen, dass da ein anderer Hund war und man beschnupperte sich in aller Freundschaft.
Im Dezember starb mein Terrier nach vier Atemzügen Schnappatmung in meinen Armen. Ich konnte nicht reden oder gar fühlen. Clara war einfach nur da, stand daneben, wollte nichts und tat nichts. Damit gab sie mir genau den Trost, den ich in diesen Minuten brauchte. Den Arm um sie gelegt, schwiegen wir gemeinsam und nahmen so Abschied von einer kleinen, großen Seele. Clärchen und ich verlebten einen ruhigen Jahreswechsel. Die Silvesterknallerei machte ihr nichts aus. Wir spielten im Garten mit „Hölzchen“, während das neue Jahr seinen Anfang nahm.
Zehn Tage später war ich zum Pflegestellenversager geworden. Nein, es war nicht Clara, obwohl ihr mein Herz schon längst gehörte. Ihre Krankheit überstieg bei Weitem meine finanziellen Möglichkeiten. Ein niedliches Labradoodlemädchen wohnt seitdem bei mir.
Clara war bei allen Menschen und andersartigen Tieren die Liebenswürdigkeit in Person. Was sie zu ihrem persönlichen Glück nicht brauchte, waren andere Hunde. Mein Terrier war schon vor ihr da, so dass es da keine Schwierigkeiten gab.
Als die Kleine kam, trennte ich beide zunächst im selben Raum. Sie konnten sich sehen und riechen – Himmel, wie die Kleine stank – aber nicht berühren. Clara war keineswegs „amused“ über den Zuwachs. In der Nacht packte ich das Baby kurzerhand in einen Kennel, damit sie einerseits geschützt war und andererseits – sie war noch nicht stubenrein. Sie würde sich hoffentlich bemerkbar machen, wenn sie ein dringendes Geschäft zu erledigen haben würde. Am nächsten Morgen wurden die beiden sehr gute Freundinnen und ich hatte viel zu lachen.
Claras sehr liebevolles Tagebuch wurde im WWW eifrig und gern gelesen, aber es reichte nicht aus, die passenden Bewerber zu finden. Ein Anfängerhund war sie auf keinen Fall. Sie hatte schon ihren eigenen Kopf, dem man ganz klare Regeln und Grenzen setzen musste, aber dann hatte man einen Hund, mit dem man bedenkenlos überall hin gehen konnte. Dazu kam noch die teure Krankheit.
Im Mai wurde aus Clara dann noch ein Fernsehstar. In der Sendung „Tiere suche ein Zuhause“ stellte man „mein Clärchen“ als Notfall vor. Claudia Ludwig sagte klar und deutlich, dass hier erfahrene Hundefreunde mit dickem Portemonnaie gesucht wurden.
Im August meldete sich eine Familie, die alle diese Voraussetzungen erfüllte und sich - eigentlich - schon lange in Clara und ihr Tagebuch verliebt hatte. Sie sollte vorrangig Frauchens Hund werden. Für Herrchen war nur wichtig, dass sie sich mit seinem Kater verstehen würde. Diese Entscheidung hatte er ohne Clara gemacht. Sie kam beiden liebenswürdig wedelnd und lächelnd entgegen – da war es um ihn geschehen. Irgendwann im Zuge unserer Unterhaltung fiel der Satz “...und dann sage ich zu meinem Hund...“. Konnte ich da noch traurig sein, weil mich meine süße Clara verließ?
Heute lebt sie als geliebte und umhegte Prinzessin zusammen mit zwei Katzen in einem wunderschönen Haus. Ihr Gesundheitszustand wird regelmäßig überwacht. Dabei kam ein phantastisches Ergebnis heraus: ihre Krankheit ist, entgegen allen Prognosen, fast ausgeheilt! Sie wird nur noch wenige Medikamente brauchen. Die übrigen werden langsam ausgeschlichen.
Auf hündische Straßenbekanntschaften legt sie immer noch keinen Wert.